Nie wieder ist jetzt
Was Freiheit, Sicherheit und Unabhängigkeit in Zeiten globaler Unsicherheit bedeuten und warum wir Selbstverständlichkeiten aktiv erneuern müssen.
Viele Menschen in Österreich verbinden den Nationalfeiertag mit Freude, vielleicht sogar Stolz. Wir feiern die Unabhängigkeit und Souveränität der Republik. Wir feiern, dass wir als neutraler Staat in Frieden, Sicherheit und Freiheit leben. Auch dieses Jahr begehen wir diesen Festtag am geschichtsträchtigen Heldenplatz mit Bundespräsident, Bundesregierung, Bundesheer und Bürgermeister mitten in Wien mit tausenden Österreicher:innen und vielen, die hier leben. Alles wie immer? Mitnichten.
Denn Freiheit, Sicherheit und Unabhängigkeit – das schien alles schon einmal selbstverständlicher. Der völkerrechtswidrige, brutale russische Angriff auf die Ukraine hat diese Grundfesten seit dem 24. Februar 2022 erschüttert. Das barbarische Massaker der Hamas-Terroristen auf Israel bringt eine neue Dimension der Brutalität und des Schreckens. Es ist Zeit, innezuhalten und den Selbstverständlichkeiten angesichts großer bevorstehender Veränderungen neue Bedeutung zu geben.
Wenn wir wollen, dass die Fundamente, auf dem die Zweite Republik und unser Zusammenleben aufgebaut sind, nicht ausgehöhlt werden, dann müssen wir gemeinsam hinschauen und immer wieder neu an ihnen arbeiten.
Nie wieder ist jetzt
In diesen Wochen erleben wir in ganz Österreich einen besorgniserregenden Anstieg an antisemitischen Provokationen und Angriffen. Wenn die israelische Fahne mitten in der Wiener Innenstadt vom Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde heruntergerissen wird, wenn sich Jüdinnen und Juden in Österreich nicht mehr sicher fühlen, dann können und werden wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Antisemitismus ist in der österreichischen Geschichte leider bei weitem nicht neu. Nun nimmt er wieder in erschreckendem Ausmaß zu.
Auch dieser Realität müssen wir ins Auge sehen: Es gibt gewaltverherrlichende und gewaltbereite Fundamentalist:innen, die die barbarischen Hamas-Terrorakte vom 7. Oktober bejubeln, Israel das Existenzrecht absprechen und vor allem migrantische Jugendliche für ihre Zwecke missbrauchen und radikalisieren wollen. Auch da werden wir mehr als bisher wachsam sein müssen. Und es muss auch klar gesagt werden: Wenn jemand die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten will, kann er nicht antisemitische Straftaten setzen.
Der Kampf gegen Antisemitismus ist gerade mit der Geschichte Österreichs hier und heute notwendig. Denn „nie wieder“ muss wirklich „nie wieder“ bedeuten. Ich bin überzeugt davon, dass man das Existenzrecht Israels und den Schutz jüdischen Lebens vehement verteidigen, die terroristischen Gräueltaten der Hamas aufs Schärfste verurteilen, und gleichzeitig humanitäre Hilfe und die Möglichkeit eines besseren Lebens für die palästinensische Zivilbevölkerung einfordern kann.
Unabhängigkeit muss erarbeitet werden,
gerade heute.
Der Terror gegen Israel, die Eskalation im Nahen Osten und der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine haben weitreichende und direkte Auswirkungen auf die Sicherheit in unserem Land. Ich meine hier nicht nur die militärische Sicherheit.
Es geht auch um die Unabhängigkeit Österreichs in anderen elementaren Lebensbereichen: Österreich war und ist, auch durch politische und wirtschaftliche Fehlentscheidungen in der Vergangenheit, in seiner Energieversorgung viel zu sehr anderen Mächten ausgeliefert. Abhängig von Diktatoren, Kriegsverbrechern und Terrorfinanzierern.
Spätestens seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges wurde diese Verletzlichkeit spürbar und hat natürlich zu Unsicherheit geführt. Spürbar wurde auch die Sorge, ob wir im kalten Winter genug Gas für unsere Krankenhäuser, Schulen, Wohnungen und unsere Industrie haben. Und die daraus resultierende Preiserhöhung hat vielen Menschen in Österreich zusätzlich Sorgen bereitet.
Die Nahostkrise verschärft diese Unsicherheit. Denn auch dort verdienen unter anderem jene am Öl- und Gas-Export nach Österreich und Europa und die Welt, die Terrororganisationen wie die Hamas unterstützen. Ich bin überzeugt davon, dass wir uns die notwendige Unabhängigkeit mit Gestaltungswillen, Plan und einer gemeinsamen Anstrengung aller erarbeiten können. Wird das von heute auf morgen gelingen? Nein. Aber Windrad um Windrad, PV-Dach für PV-Dach, Solarkraftwerk um Solarkraftwerk, wird es Stück um Stück realistischer, uns aus dieser Abhängigkeit zu lösen. So besteht die Chance in den nächsten Jahren vom Putin-Gas loszukommen. Wir müssen sie nutzen und dafür hart arbeiten und kämpfen. Denn nur ein unabhängiges Österreich ist ein sicheres Österreich, ist ein zukunftsreiches Österreich, wie wir es auch in unserer Bundeshymne besingen.
Geeintes Europa statt altem Nationalismus
Ein zukunftsreiches Österreich, auch das steht für mich außer Frage, ist fester Bestandteil der Rechts- und Wertegemeinschaft der Europäischen Union. Es gibt einige, die den Rückwärtsgang einlegen und sich in das alte Denken von Vor-Gestern flüchten wollen. Aber gerade das neutrale Österreich gewinnt durch die Mitgliedschaft in der Union an Sicherheit und Freiheit. Ja, auch diese Überzeugung scheint mir heute wichtig mit Leidenschaft zu wiederholen.
Denn immer lauter werden an vielen Ecken und Enden Europas gerade jene, die diese Wertegemeinschaft nicht nur infrage stellen, sondern geradezu attackieren. Die das größte Friedensprojekt der europäischen Geschichte angreifen und zurück in eine ur-alte Nationalstaatlichkeit drängen; Jene, die Errungenschaften der Aufklärung mit Lügenpropaganda bekämpfen, die Rechtsstaatlichkeit und die liberale Demokratie abschaffen wollen und sich mit Hetze an der Vergrößerung der Probleme statt an Lösungen beteiligen;
Wir, die ein geeintes Europa voranbringen wollen, sind mehr.
Aber es reicht nicht, sich auf diesem Wissen auszuruhen. Wir müssen diese Gemeinsamkeit der Vielen in unserer Heimat Österreich auch benennen, erneuern und engagiert vertreten. Mutig in die neuen Zeiten.
Auch, und gerade am heutigen Nationalfeiertag.
Werner Kogler